Wiedersehen mit Franztal-Semlin

Am 5. Oktober 1944 endete die Franztaler Ortsgemeinschaft. Was in 130 Jahren gewachsen war, wurde zerrissen, gespalten, zerstört. 167 Wägen, mit dem Allernötigsten beladen und voll mit verzweifelten Menschen, machten sich über Indija, Fünfkirchen und Sopron auf den Weg in die neue Heimat Österreich. Viele folgten mit der Eisenbahn, mit Schiffen auf der Donau, mit anderen Verkehrsmitteln. Für die Wagenkolonne war am 5. November das Ziel Mondsee erreicht, wo die Landsleute in Mondsee selbst und den Umlandgemeinden aufgeteilt wurden. Viele Jahre später gab es die ersten Besuche der Vertriebenen in ihrer früheren Heimat. Manche wurden freundlich, andere weniger freundlich aufgenommen.


Nach 64 Jahren, vom 1. bis 4. Mai 2008 fuhren 58 ehemalige Bewohner und deren Nachkommen zu einem offiziellen Besuch nach Franztal-Semlin. Ein großer Bus der Firma Feichtinger aus Mondsee brachte die Landsleute aus den USA, Deutschland, der Schweiz und Österreich über Graz, Laibach und Agram nach Belgrad, wo im 1920 erbauten, damals sehr eleganten und luxuriösen Palace Hotel Quartier bezogen wurde. Hans Hefner informierte während der Anreise über Interessantes der Länder Slowenien, Kroatien und Serbien.


Unser Landsmann Toni Saric (Saritsch), der heute in Belgrad wohnt, hatte mit uns für die nächsten drei Tage ein interessantes Programm zusammengestellt und manche Probleme gelöst. Ohne seine wertvolle Hilfe wäre vieles nicht so positiv verlaufen.


Am 2. Mai feierten wir mit Pfarrer Jozo Duspara in der Mutter-Gottes-Himmelfahrtskirche in Semlin die Heilige Messe. Pfarrer Duspara begrüßte uns auf deutsch, bedauerte, dass die Franztaler Kirche niedergerissen wurde, in der viele der Anwesenden getauft, gefirmt und getraut wurden. Er sagte, dass die Menschen, die früher hier lebten, fleißige Leute waren und heute in vielen Staaten zu Hause sind. Leider leiden oft die Unschuldigen. Pfarrer Duspara erinnerte an die Prozessionen, die von der Franztaler Kirche hierher kamen und auch den umgekehrten Weg gingen. Er ersuchte die Franztaler und Semliner Nachkommen, die Heimat ihrer Vorfahren nicht zu vergessen. Er führte aus, dass er auch das Franztaler Heimatbuch besitze, in dem er oft lese, es sei ein historisches Buch, das er sehr schätze.


Anschließend sprach Obmann Johann Schwarz zu den Gästen und Landsleuten. Er betonte, dass wir gerne nach Franztal-Semlin gekommen sind und unseren Kindern und Enkeln die frühere Heimat zeigen wollen. Er dankte für die freundliche Aufnahme und die schöne Messe, die wir in dieser Kirche feiern durften. Pfarrer Duspara erhielt einen Franztaler Photoband, der ihn an die frühere Franztaler Kirchengemeinde erinnern soll.


Mit Fürbitten für den letzten Franztaler Pfarrer Anton Gerster, für alle Verstorbenen und die anwesenden Gäste endete die besinnliche Feier. Viele hatten feuchte Augen, Tränen wurden getrocknet. Chorgesang und Orgelmusik bereicherten die Heilige Messe.


Im Hof der Kirche waren für die Gäste ein Büfett und Getränke vorbereitet. Neben der Kirche steht das Taufbecken und ein Säulenkapitell unserer früheren Kirche, die vor der totalen Zerstörung gerettet werden konnten. Es ist schon ein eigenartiges Gefühl, wenn man neben dem Becken steht, in dem man als kleines Kind getauft wurde.


Am Nachmittag stand der Besuch von Franztal auf dem Programm. Drei kleine Busse brachten uns in die Hauptgasse und die zahlreichen Nebengassen. Ein genauer Stadtplan von Werner Laudenbach aus Wien mit deutscher und serbischer Straßenbezeichnung war eine große Hilfe bei der Orientierung. Kleine Gruppen und Einzelpersonen suchten und fanden die Häuser ihrer Eltern und Großeltern. Manche wurden begrüßt und willkommen geheißen, bei anderen war nur ein Blick über das Garten- oder Einfahrtstor möglich. Vor allem die Hauptgasse hat sich baulich verändert, alte Häuser waren abgerissen, neue erbaut. Bei den Seitengassen waren weniger Veränderungen zu bemerken. Nach einigen Stunden Aufenthalt trafen sich alle wieder zur Rückfahrt ins Hotel.


Der nächste Tag begann mit einer zweistündigen Schifffahrt auf der Donau und der Save. Belgrad hat eine sehr wechselvolle Geschichte. Kelten und Römer waren hier zu Hause, 1521 bezwang Sultan Süleyman die Stadt, 1717 eroberte Prinz Eugen in einer großen Schlacht Belgrad und den Norden Serbiens zurück. Unsere sehr kompetente Reiseführerin brachte uns bei der Fahrt die lange Geschichte näher, sprach über die Katemegdan Festung und den Millenium Turm in Semlin, der 1896 von der ungarischen Verwaltung als Symbol für die ersten tausend Jahre der ungarischen Herrschaft über diese Gebiete erbaut wurde. Wir passierten die bewaldete Kriegsinsel, dort hatten sich Österreicher und Türken blutige Schlachten geliefert. Der Rückweg, an schwimmenden Hausbooten, Restaurants und Cafes vorbei, vermittelte einen guten Eindruck vom heutigen Leben in Belgrad und Semlin.


Bei einer Busfahrt durch Belgrad gewannen wir einen guten Einblick in diese große Stadt, die in zahlreichen Kriegen immer wieder zerstört wurde. Wir besichtigten die Festung und den Kalemegdan Park mit wichtigen archäologischen und historischen Sehenswürdigkeiten. Vorbei an zerstörten Häusern von der NATO-Bombardierung im Jahre 1999, war das erst im Jahre 1936 fertiggestellte Volksparlament zu sehen. Museen und Galerien, die Kirche des Hl. Sava, die Akademie der Wissenschaften, Theater und die besonders hübsche Fußgängerzone zeigen die Vermittlerrolle Belgrads zwischen Europa und dem Orient. Über eine der Donaubrücken erreichten wir Semlin und Neu-Belgrad, wo wir natürlich das Wahrzeichen Semlins, den Millenium oder Hunjadi Turm besichtigten. Vor dem Turm ist eine Aussichtsplattform mit einem einzigartigen Blick auf Semlin, die Donau und das nahe Belgrad.


Die Franztaler Kirche, die Friedhofskapelle und der Friedhof wurden entweiht, niedergerissen. Die Glocken rufen nicht mehr zum Gottesdienst, den geistigen Mittelpunkt Franztals gibt es nicht mehr. Auf dem neuen großen Friedhof von Semlin und Neu-Belgrad wurden viele Jahre später einige alte Franztaler Grabsteine und die große Jesusstatue aufgestellt. Wir besuchten den Friedhof und die spärlichen Reste der Steine, legten mit Pfarrer Jozo Duspara einen Kranz nieder, sprachen Gebete und verweilten mit unseren Gedanken in der damaligen unseligen Zeit. Wir standen nachdenklich vor mit Gras überwucherten und schwer lesbaren Namen auf Grabsteinen früherer Bewohner Franztals. Es war eine schwere Stunde auf unserer interessanten Reise.


Am 4. Mai ging es heimwärts. Vorbei an Batajnica, wo früher die Felder und Hotter der Franztaler waren, erreichten wir das große und noch gut erhaltene Indija und später die Kirche Maria Schnee, die Wallfahrtskirche der Franztaler bei Karlowitz in Syrmien. Am 5. August jeden Jahres zogen die Gläubigen in drei Tagesmärschen zu dieser Gnadenstätte. Bereits im Mittelalter stand hier eine kleine, aus Steinen erbaute Kirche, zu Ehren der Jungfrau Maria geweiht. In der Türkenzeit wurde diese Kirche zerstört und eine Moschee mit einem Minarett erbaut.


Unweit dieser Stelle hat am 5. August 1716 Prinz Eugen die Türken besiegt und ein Madonnabild aus seinem Zelt der Kirche geschenkt. Nach den Plänen von Architekt Hermann Bolle aus Berlin, der auch die Pläne für die Franztaler Kirche erstellte, erhielt 1881 die Kirche das heutige Aussehen. Viele Wallfahrer aus Syrmien, Slawonien, der Batschka, dem Banat und Serbien pilgerten mit ihren Sorgen und Nöten zu dieser Kirche.

 

An dieser, für uns Franztaler und Semliner ehrwürdigen Stelle brachten wir eine von Roswitha und Paul Mamoser sehr schön gestaltete Kerze mit der Aufschrift „Franztal 1816 – 1944“ zum Altar. Anton Saric informierte uns über die lange Geschichte dieses Heiligtums. Zusammen sangen wir das bekannte und in Franztal oft gesungene Marienlied „Meerstern ich dich grüße“. Stille und Ergriffenheit lagen spürbar über unseren Landsleuten.


Das nächste Ziel war Peterwardein, gegenüber Neusatz an der Donau gelegen. Das „Gibraltar an der Donau“ genannte Peterwardein war ein wuchtiges Bollwerk Österreichs gegen die Türken auf dem Balkan. Heute ist die Stadt ein kulturelles Zentrum der Provinz Vojvodina. Wir besichtigten die Festung mit einer wunderschönen Aussicht auf Neusatz (Novi Sad), die mit 300.000 Einwohnern zweitgrößte Stadt Serbiens. Hier ist auch eine große Universität mit über 30.000 Studenten. Die Provinzhauptstadt ist ein Wirtschaftszentrum und ein wichtiger produktiver Standort für Serbien.


Die Heimfahrt brachte einen dreistündigen Aufenthalt an der serbisch-kroatischen Grenze. Genaue Kontrollen der Zöllner und Polizisten verhinderten eine frühere Rückreise. Unsere Reisegruppe, erfreulicherweise waren auch zahlreiche Jüngere dabei, hat viel gesehen, gehört und erlebt. Toni Saric und Michael Quintus, der mit 87 Jahren die Reise mitmachte, waren uns mit ihren Sprachkenntnissen eine große Hilfe. Wir erlebten schöne aber auch nachdenkliche Momente und Situationen, waren aber froh, Franztal-Semlin mit Belgrad und andere Sehenswürdigkeiten erlebt und “gespürt“ zu haben. Diese Reise wird allen in Erinnerung bleiben.

Hans Hefner