Meine Entdeckung der Heimat der Eltern

Nach 52 Jahren voller Erzählungen der Urgroßeltern, Großeltern und Eltern war es endlich soweit: lm Bus der Abordnung der Franztaler zur Abnahme unseres Denkmals am Semliner Friedhof war noch ein Platz frei. Am Allerheiligentag 2011, gleich nach dem Gottesdienst in Mondsee gab es noch eine Verabschiedung am Gedenkstein durch Pfarrer Dr. Ernst Wageneder und dem Mondseer Bürgermeister Karl Feuerhuber. Unser Obmann Franz Schall hielt eine Rede, wie jedes Jahr zu Allerfreiligen, die mich auf die nächsten 3 Tage gut einstimmen sollte.


Um 11:30 griff unser Fahrer Raimund Hofbauer zum Lenkrad und los gings über die Phyrnautobahn bei Traumwetter. Südlich von Graz bei der 1. Pause empfing uns der Hochnebel. Viel wurde erzählt und mein Vater Josef MüIler war als Senior von uns 8 Teilnehmern hauptzuständig für Fakten aus der Zeit in Franztal. Nach problemloser Fahrt mit wenigen kurzen Pausen wurde der Nebel in Serbien zwar immer dichter. Dennoch ließ Raimund rund 10 Stunden lang bzw. 850 km weit niemand anderen an das Steuer seines Busses.


Toni Saric empfing uns im Westen Semlins dank perfekter Handy-Kommunikation und begleitete uns zum Hotel und zur heiß ersehnten Pizzeria. Er übernahm sofort mit Präzision und Humor das organisatorische Kommando für die nächsten 36 Stunden. Müde und zufrieden ging es nach einem Tag voller Erzählungen in massivem Donauschwäbisch und einiger kritischen Bemerkungen über die handwerkliche Qualität der serbischen Hotels in die Federn.

 

Am Allerseelentag empfing uns wieder dichter Nebel und verleidete uns den angeblich schönen Ausblick vom Kalvarienberg. Die Eindrücke waren vielleicht gerade deshalb sehr intensiv. Einerseits erlebte ich die lebendigen Erzählungen meines Vaters und der anderen 2 in Franztal Geborenen (Hans Hefner und Peter Riem) über freudig Wiederentdecktes aus ihrer Kindheit: Andererseits musste ich auch sehen, dass manche Stufen hinauf auf den Kalvarienberg aus Grabsteinteilen mit deutschen Inschriftteilen bestanden.


Die oft erwähnte alte Hauptgasse Franztals ist heute gesäumt von eingeschossigen, bunten und billigen Geschäftsläden und bis zu 25 Stock hohen Betonburgen. Einige Gassen des alten Franztals zeigen noch den ländlichen, alten Charme: Ähnlich wie ich es aus dem Burgenland kenne, stehen die eingeschossigen Häuser Seite an Seite mit ihrer Front zur überraschend breiten Gasse. Dahinter schließt sich der lange Streifen für den damaligen Gemüse- und Obstgarten an.

 

Am Hefner Haus, an der Ecke Hauptgasse - Badensergasse kann man besonders gut erkennen, wie die alten Lehmmauern aufgebaut sind. Das alte Müllerhaus existiert heute nicht mehr, weil es einer Straße weichen musste. Die ähnlichen, ganz gut erhaltenen Nachbarhäuser geben aber einen guten Einblick in die damaligen Wohnverhältnisse. Rund 130 Meter schritt ich ab, so lang reichte das schmale Grundstück nach hinten.

 

So sehr sich mein Vater freute mir die damaligen Verhältnisse zu schildern, so wenig Freude bereiteten wir wohl den Einheimischen: Ein rund 60-Jähriger Serbe aus dem Nachbarhaus hatte uns beobachtet und verfolgte uns noch über 50 Meter, bis er uns zwar auf Serbisch aber unmissverständlich klar machte, dass er keine Fotografien durch uns duldete.


Leider musste auch das Haus meiner Großmutter -Familie Lotspeich- bereits vor Jahren einerm Neubau weichen. Doch der Spaziergang war für mich ausgesprochen interessant. Was mich überrascht hat, war die Nähe des alten Franztal zum Zentrum des sehr lebendigen Semlin: Einige Buslinien verbinden es sogar direkt mit dem Belgrader Stadtzentrum. Und auf allen westlich von Franztal gelegenen Ackerfeldern stehen heute oft riesige Wohnblocks mit deutlich über 10 Stockwerken oder es wurden inzwischen Gewerbe- und lndustrieflächen.

 

Nach kurzer Pause ging es bei inzwischen klarem Herbstwetter zum nächsten Höhepunkt, einer Kranzniederlegung am frisch errichteten Gedenkstein auf dem neuen Semliner Friedhof. Der katholische Pfarrer Jozo Duspara, wir würden ihn wohl "Seppl" nennen, hielt uns einen Wortgottesdienst gemeinsam mit geschätzt 80 Angehörigen seiner Semliner Gemeinde. Mein Zimmergenosse Franz Schall hat seine auf Serbisch gehaltene Ansprache bravourös gemeistert. Dafür hatten wir beim vom Blatt gelesenen „Vater Unser" einen Sprach-Heimvorteil. Danach entspannten sich rasch viele interessante Gespräche. Mir übersetzte beispielsweise eine Bosnierin mit italienischem Mann spontan die ergreifende persönliche Kriegs - und Nachkriegsgeschichte einer Serbin die ihren italienischstämmigen Mann in Semlin im Partisanenkrieg verloren hatte.

 

Angesichts der würdevoll zusammengetragenen Franztaler Grabsteine wurden für mich auch diverse Namen wieder lebendig, die ich aus vielen Erzählungen meiner Familie schon oft gehört hatte.

 

Danach ging es mit dem Bus durch alte Franztaler Straßenzüge zum alten Bahnhof und schließlich auf den Hunyadi-Turm. Von dort oben hatten wir nun einen herrlichen Ausblick über ganz Semlin nach Belgrad. Die Weite dieser historischen Kulturlandschaft und der mächtigen Donau hat mich recht beeindruckt.


Der anschließende Spaziergang an der Donau half uns 4 „Jungen“ aus der Kindergeneration die Eindrücke und Erzählungen zu verarbeiten.

 

Abends genossen wir ein gepflegtes Essen im Restaurant Venezia an der Donau, zu dem unter anderem auch Pfarrer Duspara geladen war. Mal lustig, mal interessant, mitunter betroffen machend wechselten die Themen aus Vergangenheit und Gegenwart von Franztal, Belgrad und Serbien. Nach langen Abschiedsszenen -Peter Riem erschlich sich noch einen Nachschlag- ließen wir den Abend noch bei einem obligaten Bier im Hotel gemütlich ausklingen.


Der letzte Morgen führte uns zuerst auf den bunten Markt von Semlin, auf dem es von Fischen über Kleidung, Elektro- und Haushaltswaren aller Art vor allem herrliches Obst und Gemüse gab.

Selbst Mozartkugeln haben wir dort entdeckt!

 

Pünktlich um 9:00 fanden wir uns unter klarer Regie von Toni Saric bei Pfarrer Duspara auf den guten, aber etwas gewöhnungsbedürftigen Pfarrkaffee ein. Die von Annemarie Pfeffer mitgebrachten Vanillekipferl schmeckten uns nämlich vertrauter als der Slivowitz bereits um 9:30. Pfarrer Duspara beeindruckte uns an diesem Morgen jedenfalls sehr mit seinen wahren Deutschkenntnissen. Nach einer kurzen Führung in die Kirche und einem herzlichen Abschied bis zum nächsten Mal ging es pünktlich um 10:00 zum Bus.

 

Schließlich ging es westwärts. Wir verabschiedeten auch noch Toni, der alles so großartig eingefädelt und begleitet hatte und machten uns auf die Rückreise.

 

Der wieder eingefallene Hochnebel unterstrich die Weite der Landschaft von Syrmien, Slawonien und weiter nach Westen. Die unterhaltsame Rückreise für die nächsten 10 Stunden verlief kurzweilig und war voller angeregter Unterhaltungen.

 

Für mich war diese 1. Reise in die Heimat meiner Ahnen eine tiefe Bereicherung, die ich jedem mit Franztaler Wurzeln nur sehr empfehlen kann. Es war für mich auch sicher nicht das letzte Mal!

Manfred Müller, Salzburg im Dezember 2011